Freyr
Gute Ernte und Frieden
Der Gott, den man mit dem alten Vikinger-Segen um gute Ernte und Frieden (ár ok fríðr) anrufen soll, ist Freyr. Das sagt der Edda-Autor Snorri Sturluson, der Freyr auch als „vornehmsten unter den Göttern” bezeichnet: „Er regiert über Regen und Sonnenschein und damit über das Wachstum der Erde.” Als Freyjas Bruder, den man sich aufgrund dieser Wesensgleichheit als Zwillingsbruder vorstellen muss, ist er auf männliche Weise das, was sie auf weibliche ist – der Spender von Leben und Fruchtbarkeit, sexueller Lust und Liebe: die Schöpferkraft der Männlichkeit. Deshalb wird er in der Vikingerkunst mit erigiertem Penis dargestellt wie hier in einem kleinen Bronzefigürchen, aber auch in seiner Kultstatue im Tempel von Uppsala.
Freyr und der Froði-Friede
In der dänischen Königssage ist der für seine Friedensherrschaft berühmte König Froði ein Sohn von Skjöldur, Snorri Sturluson setzte ihn aber mit Freyr selbst gleich. Wahrscheinlich war Froði (nord. „der Weise”) ursprünglich ein Beiname Freyrs, der später auch als königlicher Ehrenname verwendet wurde. Der „Froði-Friede” war ein sagenhaftes Zeitalter von Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand, in dem Historiker eine Erinnerung an die Bronzezeit vermuten, in der in Skandinavien tatsächlich Friede, Wohlstand und hohe Kultur herrschten – und die Vanen besonders verehrt wurden. Die Verbindung (oder Identität) Freyrs mit Froði weist ihn jedenfalls sehr klar als einen Gott des Friedens aus – und dass ihn die Vikinger so hoch verehrten, spricht eindeutig gegen ihr Macho-Krieger-Image. Wahre Männlichkeit sah für sie wohl doch anders aus.
Freyr, Odin und Thor
Im Tempel von Uppsala standen Bilder dreier Götter: Freyr, Odun und Thor. Sie vertraten nicht nur sich selbst, sondern die Ganzheit aller Götter, denn in ihren Funktionen– Souveränität (Odin), Schutz (Thor) und Ernährung (Freyr) – stehen sie für die gesamte Gesellschaft der Götter wie der Menschen. Diese Dreiheit männlicher Götter zeigt auch das Männlichkeitsideal des Heidentums: drei Möglichkeiten, die je nach Persönlichkeit verschieden stark verwirklicht werden, aber immer zusammengehören. Ein wahrer Mann ist nicht nur geistig-religiös tätig, nicht nur Krieger und nicht nur Ernährer – Abwege, auf denen Mönche, Fremdenlegionäre und Workoholics ihr Leben vergeuden. Er muss allen drei Anforderungen entsprechen: seine Familie ernähren, sie beschützen und nach Weisheit streben.
Freyr und Gerðr
Wie sein Vater Njörðr hat auch Freyr eine Frau aus dem Jötenstamm. Sie heißt Gerðr und ist die Tochter von Gymir („Erdmann”, von gyma, Erde). In der Edda wird erzählt, dass Freyr seinen Diener Skirnir als Brautwerber zu ihr schickte und ihm dafür sein Pferd und sein Schwert gab. Obwohl ihr Skirnir die Vorzüge Freyrs schilderte und reiche Brautgeschenke versprach, wollte Gerðr nichts von Freyr wissen. Schließlich drohte er, sie mit einem Runenfluch zu belegen, und so willigte sie in die Hochzeit ein.
Forscher haben viel über diese erpresserische Brautwerbung gerätselt, die zu Freyrs Wesen gar nicht passt, und halten sie für einen historischen Mythos: Freyr-Verehrer hätten das Land von Leuten erobert, die die Erdgöttin Gerðr nannten. Ihr Name hängt mit garðr (bebautes Land, Garten) zusammen, sie ist also die Göttin eines Bauernvolkes oder der bäuerlich genutzten Erde. So ergibt die Brautwerbung Skirnirs einen Sinn: Der Bauer liebt die Erde, aber er zwingt sie auch, für ihn Früchte zu tragen.
Tiere und Attribute Freyrs
Weil er es Skirnir hat, muss Freyr in der Götterdämmerung ohne Schwert mit Surtur kämpfen und wird getötet. Zuvor besiegt er in einem Zweikampf den Thursen Beli, indem er ihn mit einem Hirschgeweih tötet. Das kommt daher, dass eines von Freyrs heiligen Tieren, vielleicht sein ältestes Totem, der Hirsch ist, der auch in der keltischen Religion eine große Rolle spielt. Ein anderes Tier Freyrs ist das Schwein. Er hat einen Eber mit Namen Gullinbursti (Goldborste). Mit seinem Schiff Skidbladnir kann er fliegen, d.h. Geistreisen unternehmen. Schließlich ist Freyr, wie auch Odin, das Pferd heilig. Es ist kein „Fruchtbarkeitssymbol”, wie oft behauptet wird, denn Pferde sind nicht auffallend fruchtbar, aber es ist ein altes Totemtier und weist damit auf Freyrs Rolle als Stammvater von Sippen wie der Ynglinge hin.
Gott des Wassers: Ingwaz/Yngvi-Freyr
Eine besondere Erscheinungsform Freyrs, des Lebensspenders, zeigt sich in seiner Verbindung zum Urelement des Lebens, dem Wasser. Als Gott des Wassers heißt er Yngvi-Freyr oder nur Yngvi. In England wird er unter dem Namen Ing verehrt, einige verbinden dies mit seinem althochdeutschen Namen Fro zu Fro Ing. Von der altgermanischen Form Ingwaz leitet sich der Name der Ingwäonen ab, d.h. der Stämmegruppe, die an der Nord- und Ostsee lebte. Ingwaz ist auch der Name der 22. Rune, die ein Paar mit der 21. Rune, Laguz (Gewässer), bildet. Das altenglische Runengedicht sagt, dass Ing „über die Wellen gefahren” kommt. Man ruft ihn an, wenn man die vanischen Kräfte des Wassers beschwören will.
Als Vanengott ist auch Ingwaz/Yngvi-Freyr ein Zwilling. Die Namensform Ingunar-Freyr, die in der Edda vorkommt, deutet auf eine Göttin Ingun bzw. auf den Beinamen Ingun für Freyja als Göttin des Wassers hin. Entsprechend der natürlichen Bedeutung des Wassers waren „Wasserkulte” weit verbreitet. Die Heiligkeit des Wassers ist ein zentraler Punkt jeder Naturreligion.
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