Frigg und die Nornen
Frigg ist die Ehefrau Odins und die höchste der Göttinnen, die alle, auch wenn sie zum Vanenstamm gehören, Asinnen (nord. Ásynjur) genannt werden. Die Edda berichtet mehr von den männlichen Göttern, doch heißt es ausdrücklich, dass „die Göttinnen um nichts weniger heilig und mächtig” sind. Frigg heißt in den altgermanischen Sprachen Frea (langobardisch) und Frija (althochdeutsch) und wird wegen dieser Namensähnlichkeiten gelegentlich mit Freyja verwechselt Tatsächlich kommen beider Namen vom selben Wortstamm wie „Frau” im ursprünglichen Sinn von „Herrin” und besagen, dass sie die höchsten Göttinnen der Asen bzw. der Vanen sind – es sind also eigentlich rituelle Ehrentitel, unter denen die Göttinnen angerufen wurden.
Frigg ist als höchste Göttin der Asen die Himmelskönigin und herrscht über die heiligen Ordnungen im Kosmos und in den sippenübergreifenden Zusammenschlüssen der Menschen. Sie schützt die Eide, durch die sich Fremde einander verpflichten, und die Ehe, durch die nicht nur einzelne Frauen und Männer, sondern auch ihre Sippen verbunden werden. Daher ist sie die Göttin der verheirateten Frauen, die nach germanischer Tradition richtige Herrinnen von Haus und Hof sind, und die Schützerin ihrer Aufgaben und Interessen. Die als gegenseitige Verpflichtung betrachtete Ehe ist nach germanischer Auffassung eine Spezialform der Heiligen Ordnung (ahd. êwa) im allgemeinen, die sich auf höchster Ebene in der Ordnung des Kosmos zeigt.
Frigg ist daher eng mit dem zentralen Ordnungsgestirn, der Sonne, verbunden. Sunna, die Sonnengöttin, wird im Zweiten Merseburger Zauberspruch ihre Schwester genannt. So spiegelt sich Friggs Ordnungs- und Schöpfungskraft in der Sonne. Weil die Sonne aus der Sicht von Seeleuten, wie es die Vikinger waren, aus dem Meer steigt und im Meer versinkt, heißt Friggs Wohnort in der Vikingertradition Fensalir (Meersäle). Mit der Sonne verbunden ist auch Friggs Begleiterin Fulla (im Zauberspruch Volla, „Fülle”), die ein goldenes Stirnband trägt, nach dem die Dichter das Gold „Sonne von Fullas Stirn” nennen.
Frigg besitzt ein Falkengewand, d.h. sie kann sich in einen Falken verwandeln, wie sich auch Odin verwandeln kann. Diese Kunst, ein Teil des Seiðr-Zaubers, hat Odin von Freyja gelernt. Frigg besitzt diese Fähigkeit von sich aus. Anders als Freyja gibt Frigg ihr Wissen nicht weiter. Sie kennt das Schicksal aller Wesen, aber sie schweigt darüber. Denn sie weiß auch um die Unabänderlichkeit des Schicksals – dass sie im Fall ihres Sohnes Baldur dennoch versucht, es zu ändern, und dadurch selbst dazu beiträgt, es zu erfüllen, zeigt das tragische Schicksalsverständnis des Heidentums: Was immer dein Schicksal ist, lass es nicht geschehen, sondern lebe es!
Diese Haltung liegt im Wesen Friggs, denn als Himmelskönigin und Herrin der Heiligen Ordnung ist sie letztlich die Schöpferin des Schicksals oder jedenfalls der Grundlagen, aus denen es gewoben ist. Dadurch ist sie eng mit den Nornen verbunden.
Schicksalsgöttinnen: die Nornen
Die Nornen (nord. Nornar, Einzahl Norn) sind eine Dreiheit von Göttinnen, die an einer Quelle am Fuß des Weltbaums wohnen, die der Brunnen des Schicksals (Urdbrunnen) heißt. Dort teilen sie allen Wesen ihr Schicksal zu. Die älteste heißt Urðr („die Gewordene”), ihre Schwestern sind Verdandi („die Werdende”) und Skuld („die werden wird”). So teilen sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu, und so nimmt man beim Loswerfen die drei Runen in der Reihenfolge der Nornen auf und liest aus ihnen Ursprung, Zustand und Aussichten einer Sache, nach der man die Runen befragt. Die Namen der Nornen wurden erst von den Sehern der Vikingerzeit genannt, aber ihre Dreizahl der Nornen ist alt, denn Göttinnen wurden schon in altgermanischer Zeit oft als Dreiheit verehrt.
Urðr ist darüber hinaus eines der Wörter, mit denen man auch das Schicksal als solches bezeichnet. Es heißt auf althochdeutsch Wurt und auf altenglisch Wyrd (beide Wörter sind wie Urðr weiblich). Das bedeutet, dass das Schicksal nicht eine von fremder Hand festgelegte und starre „Bestimmung” ist, wie Anhänger autoritärer Religionen glauben, sondern ein dynamisches Werden, das sich immer wieder selbst gestaltet und aus seinen Ursachen hervorbringt. Auf nordisch heißt es auch Örlög, d.h. Grundlagen oder Grundschichten, denn es betrifft die grundlegenden Ursachen, aus denen die Dinge entstehen. Der gebräuchlichste heutige Ausdruck für das Schicksals, wie wir es verstehen, ist das englische WortWyrd. Es ist das ewige Werden, das durch die Hände der Nornen geht, aber auch ihre Macht übersteigt. Daher wäre es sinnlos, die Nornen um Hilfe anzurufen. Man kann sie nur respektieren und das Schicksal, das sie zuteilen, bewusst annehmen und leben, wie es Frigg im Mythos tut.
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