Inhaltliche Grundlagen des VfGH
Das traditionelle germanische Heidentum ist die indigene (eingeborene) Naturreligion der germanischen Völker Nord- und Mitteleuropas, die sich aus den religiösen Erfahrungen hier heimischer Menschen in Einklang mit der Natur ihres Landes organisch entwickelt hat. Als Naturreligion beruht es auf der Heiligkeit der Natur, als indigene Religion auf der Verwandtschaft zwischen der heimischen Natur, den Gottheiten, die in ihr sind, und den Menschen, die ihr angehören. Da die Natur und somit auch die Götter in ihr vielfältig und überall anders sind, lehnen wir Ansprüche auf universale Gültigkeit ab und vertreten das gleiche Recht aller Menschen auf ihre eigene Religion.
Heidentum - die andere Religion
Als Naturreligion unterscheidet sich das Heidentum grundlegend von allen Lehren, deren “Reich nicht von dieser Welt” ist. Da ihm die Natur selbst heilig ist und die dualistische Trennung von Welt und Gottheit oder Natur und Geist nicht existiert, geht es von einer Voraussetzung aus, die zu jenen der weltabgewandten Erlösungs- und Jenseitslehren in diametralem Gegensatz steht, und ist damit nicht nur eine andere Form, sondern eine ganz andere Art von Religion.
Der von der christlichen Tradition geprägte Religionsbegriff ist daher auf das Heidentum nicht anwendbar. Religion im heidnischen Sinn ist keine Reflexion auf “Übernatürliches” oder “Jenseitiges” und kein Streben “über die Welt hinaus”, denn die Götter sind nicht über, außerhalb oder jenseits der Natur und Welt, sondern in ihr. Sie ist daher auch kein Glaube an eine von außen kommende Offenbarung, sondern Erfahrung der Götter in der Natur und damit der unteilbaren Ganzheit des Seins, in der alles mit allem verwandt ist und Anteil am Göttlichen hat.
Das Wesen der Religion im heidnischen Sinn ist es, diese Verwandtschaft mit der Natur und den Göttern spirituell zu erfahren, rituell zu pflegen und praktisch aus ihr ein Heil zu gewinnen, das sich auch konkret in der Welt manifestiert. Ihr Ziel ist kein bloßes Seelenheil, keine “Erlösung” und keine auf spirituelle Werte beschränkte “Erleuchtung”, sondern ein erfülltes Leben in der Ganzheit des Seins.
Naturreligion
Naturreligion setzt voraus, dass unter Natur nicht nur derjenige Aspekt der Wirklichkeit verstanden wird, der als materiell existent wahrnehmbar ist, sondern die Gesamtheit des Seins, in der Materie und Geist untrennbar verwoben sind und damit auch die Natur und das angeblich “Übernatürliche”, Welt und Götter, Diesseits und Jenseits einander durchdringen und eins sind. “Welt” (Midgard) und “Anderswelt” (Asgard, Utgard) bilden eine lebendige Ganzheit (Yggdrasil).
Das Heidentum ist weder dualistisch noch monistisch, sondern holistisch (ganzheitlich): Es spaltet die Wirklichkeit weder in gegensätzliche Reiche auf wie die Jenseitsreligionen noch reduziert es sie auf ein einziges Prinzip wie der Materialismus, sondern betrachtet sie als eine Vielfalt verschiedener Seinsformen, die untrennbar zusammen gehören.
In dieser Einheit in Vielfalt ist die Natur nicht nur mittelbar heilig. Sie verweist nicht auf einen außerhalb ihrer selbst liegenden Schöpfer noch ist sie bloß der Manifestationsort an sich außernatürlicher Gottheiten, sondern ist in sich selbst heilig und göttlich. Die Götter sind in der Natur und eins mit ihr.
Polytheismus
In der Vielfalt und Verschiedenheit der Natur zeigt sich das Göttliche als eine Vielzahl verschiedener Gottheiten, die in ihrer Differenziertheit und unterschiedlichen Wesensart nicht auf ein einziges Sein reduzierbar sind. Sie sind sowohl in den lebendigen, von ihnen erfüllten Erscheinungen der Natur als auch über die einzelnen Existenzen hinausgehende, transzendente Wesenheiten mit konkreten, persönlichen Charakteren, die sich in Mythos und visionärer Schau offenbaren.
Das germanische Heidentum ist eine polytheistische Religion, in deren Mittelpunkt die Verehrung persönlicher Götter und Göttinnen steht, die wir in der Natur und im Mythos erfahren und im Kult anrufen, sie um Hilfe bitten und ihnen für ihre Gaben danken. Als persönliche Wesenheiten von verschiedener Art sind sie nicht austauschbar, vermischbar oder mit anderen gleichzusetzen.
Sie sind einzigartig, bilden aber als Gemeinschaft eine Einheit, die in der Edda durch ihre Beratungen (daher regin, die Berater) und in den altgermanischen Sprachen durch das ursprünglich nur als sächliches Mehrzahlwort gebrauchte “Gott” (got. goþ, ahd. goða, nord. góð) ausgedrückt wird. Es bezeichnet laut Tacitus “jenes Geheimnis”, das wir “mit den Namen der Götter benennen” - eben weil es keine abstrakte Göttlichkeit, sondern eine Vielfalt konkreter Götter ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Polytheismus liegt darin, dass die Götter nicht nur vielfältig, sondern wie die Natur auch überall anders sind. Jedes Land, zumindest jeder ökologische Großraum, hat seine eigenen Götter. Sie sind in der Natur ihres Landes und mit ihm und den Wesen, die aus ihm hervorgehen, untrennbar verbunden. Daher sind alle heidnischen Religionen an ihre Länder und Völker gebunden und konkurrieren nicht.
Die Vielfalt der Götter bedingt auch eine Vielfalt der Religionen, von denen jede ihre eigenen Götter, aber keine einen Anspruch auf universale Geltung hat.
Verwandtschaft mit Natur und Göttern
Die Götter eines Landes sind auch in den Wesen, die ihm angehören: den Pflanzen, Tieren und natürlich auch Menschen, die aus ihm stammen und durch viele Generationen, die aus der Erde ihres Landes hervorgingen und wieder in sie zurückkehrten, mit ihrem Land und seinen Göttern verwandt sind. Die Kette der Vorfahren, die uns mit unserem Ursprung in der Natur verbindet, ist auch unser natürliches, von Geburt an bestehendes und unzerreißbares Band zu den Göttern, die in ihr sind. Was uns mit den Göttern verbindet, ist kein subjektiver Glaube, sondern ein objektives Sippenband: Wir sind Angehörige, Verwandte unserer Götter.
Deshalb beruht das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern nicht auf Gnade und Unterwerfung, sondern auf Sippentreue. Sie gewähren uns ihr Heil nicht willkürlich oder als Lohn für Gehorsam, sondern weil wir ihr Stamm sind, an dessen Heil ihnen selbst liegt, und wir verehren sie nicht aus Angst vor ihrer Macht oder Hoffnung auf ihr Wohlwollen, sondern in Liebe und Freundschaft zu treuen Verwandten, auf die wir uns verlassen können. Der nordische Begriff für einen Gott, den man besonders verehrt, ist daher fulltrúi, d.h. “einer, dem man voll vertraut”. Für viele war und ist das vor allem Thor.
Die Sippentreue unsererseits gilt nicht nur den Göttern, sondern allen Wesen, die durch gemeinsame Herkunft aus unserem Land mit uns verwandt sind. Nach unserer Überzeugung dürfen wir unser Land und seine Pflanzen und Tiere ebenso wenig ausbeuten und sinnlos schädigen wie seine Menschen.
Die indigene Naturreligion betrachtet alle Wesen, die aus derselben Natur stammen, als eine Familie und verpflichtet uns damit zu Respekt, Schutz und Fürsorge auch für das nichtmenschliche Leben in unserem Land.
Germanische Tradition
Da alle Menschen mit ihren je eigenen Göttern verwandt sind, ist diese Verwandtschaft kein Privileg. Sie begründet aber ein exklusives, nicht austauschbares Verhältnis zu den eigenen Göttern und der Natur des Landes, der sie und wir angehören. Daher stützen wir uns auf die germanische Tradition als unsere eigene Religion, die den Göttern gilt, die mit uns verwandt sind. Sie ist die Religion unseres Landes und unserer Vorfahren und als indigene Naturreligion auch besonders zuverlässig.
Als Eingeborene waren unsere Ahnen mit der Natur unserer Heimat seit vielen Generationen vertraut und fanden hier die Götter, die wirklich in ihr und als Verwandte in ihnen und auch in uns sind. Im familiären Austausch zwischen Göttern, Natur und Menschen entstand eine Wechselwirkung, in der sich die Religion stets veränderte und weiter entwickelte. Die Götter, die in der Natur und den Menschen sind, haben sich mit ihnen gewandelt und ihrerseits die Menschen geformt und reifen lassen.
Wir halten es deshalb für am besten, der Tradition unserer eingeborenen Ahnen zu folgen, die uns einen bewährten, organisch gereiften Weg zu den Göttern zeigt, sie von fremden Einflüssen frei zu halten, authentisch fortzusetzen und aus ihrem eigenen Geist sinngetreu weiter zu entwickeln. Wir lehnen sowohl eine Vermischung mit Traditionen, die einer anderen Natur angehören, als auch willkürliche Deutungen oder eine Reduktion auf einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Elemente ab und üben das germanische Heidentum unverfälscht und vollständig aus.
Nicht im Widerspruch dazu steht es, die Gottheiten und Rituale anderer Länder und Völker zu achten und von verwandten naturreligiösen Traditionen auch zu lernen. Unter der Leitidee des freien Heidentums stellt der VfGH seinen Mitgliedern frei, ob sie in ihre persönlichen Religiosität auch Elemente anderer Traditionen mit einbeziehen wollen, die gemeinsamen Rituale und religiösen Inhalte, die der VfGH als Gemeinschaft ausübt und vertritt, sind aber ausschließlich germanisch.
Mythische Erfahrungsreligion
Die germanische Tradition ist keine festgelegte Lehre mit einer autoritären Offenbarung, Dogmen und Glaubenssätzen. Vielmehr zeigt sie uns durch Riten, Symbole und Mythen einen Erfahrungsweg, den schon viele vor uns gingen, aber jeder auch selbst gehen muss. Die Götter, die in der Natur und in uns sind, können nicht nur erfahren werden, sondern müssen es auch: Ihr konkretes, vielschichtiges Wesen und ihre komplexen Beziehungen zueinander lassen sich nicht in abstrakten Lehrsätzen erfassen, sondern können sich nur in der direkten Begegnung zeigen.
Da dieses Zeigen stets nur beispielhaft und nie absolut sein kann, weil die göttlichen Dinge jede begrenzte Definition überschreiten, gibt es keine definitiven Lehren über die Götter. Es gibt aber beispielhafte Erzählungen, die Mythen, in denen sich ihr Wesen in ihren Handlungen zeigt und darin konkret erfahrbar wird. Jeder Mythos ist dabei nur eine Erfahrung von vielen, die durch andere Mythen ergänzt wird.
Der Mythos ist keine heilige Schrift im dogmatischen Sinn, aber heiliges Wort, da er religiöse Erfahrung und damit Heil eröffnet. Sein Ursprung ist nicht dunkle Symbolik oder der Versuch, etwas zu erklären, denn gerade das tut der Mythos nicht. Er erklärt nicht, sondern stellt ein Geschehen dar, das ungedeutet bleibt, damit der Zuhörer aus ihm seine eigene Erfahrung gewinnen kann. Er stellt es in der Regel so dar, wie es sein Schöpfer, der Dichter/die Dichterin selbst erfahren hat.
Denn die mythische Dichtung ist nicht Fiktion, sondern Vision. Die mythischen Dichter, deren Arbeit rituellen Regeln unterliegt, gelten im Heidentum als Seher, die von einer Gottheit inspiriert sind. In der germanischen Tradition ist es Odin, der sie inspiriert. Der Mythos ist daher wahr. Er lehrt aber keine Dogmen, sondern zeigt eine poetische, konkret-exemplarische Wahrheit, die jeder für sich als individuelle Offenbarung neu erlebt.
Runen und Rituale
Auf Odin gehen auch die Runen zurück, die formal vermutlich etruskischen Schriftzeichen entlehnt sind, inhaltlich aber, in ihren Namen, Bedeutungen und Beziehungen, den Visionen germanischer Weiser entstammen, die von Odin inspiriert wurden. Sie sind untrennbar mit der germanischen Religion und Mythologie verbunden und können nicht von ihr losgelöst betrachtet und verwendet oder mit fremden Systemen, etwa der Kabbala, vermischt werden. Wir verwenden sie zur Meditation, rituellen Kommunikation mit den Göttern, Divination und Magie sowie vereinzelt als Schriftzeichen.
Die Rituale des germanischen Heidentums orientieren sich an der sichtbaren Ordnung des Kosmos. Im Zentrum stehen die vier Jahreszeitfeste zu den Frühlings- und Herbst-Tagundnachtgleichen und den Sonnenwenden: Ostara, Mittsommer, Herbstfest und Jul. Wir feiern sie grundsätzlich unter freiem Himmel und wenn möglich an alten Kult- und Kraftorten oder auf eigenen Kultplätzen, die wir einrichten. Darüber hinaus sind alle Arten persönlicher oder gruppeneigener Rituale möglich.
Die Gestaltung der Rituale ist frei, grundlegende Bestandteile sind die Einhegung und Weihe des Kultplatzes, Anrufungen und Gebete, das Blót (Trankopfer), bevorzugt mit Met, und bei Festen ein Opfermahl, in dem die Gemeinschaft von Feiernden, Göttern und Ahnen durch ein gemeinsames Essen gestärkt wird. Blutige Opfer der Vergangenheit betrachten wir als zeitbedingt und lehnen sie heute ab. Wir können das Fleisch fürs Opfermahl beim Metzger kaufen.
Weiterleben nach dem Tod
Im Gegensatz zu den weltabgewandten Jenseitsreligionen kommt dem Leben nach dem Tod im germanischen Heidentum nur geringe Bedeutung zu. Es beschäftigt sich primär mit dem Leben vor dem Tod und der Kraft, das Schicksal zu meistern. Statt den Tod mit fiktiven Verheißungen zu verdrängen, nimmt es ihn ernst und bietet in der Überzeugung, dass er sein letztes Geheimnis nicht preisgibt, mehrere Visionen an. Sie reichen, abgesehen vom natürlichen Fortleben in Nachkommen und Erinnerung, von einem schattenhaften Dasein in Helheim über ein Fortleben in Götternähe bei Odin oder Freyja bis zur Wiedergeburt. Hier muss jeder die für ihn gültige Wahrheit finden.
Allen heidnischen Jenseitsvisionen gemeinsam ist, dass sie nicht mit Lohn oder Strafe, Verheißung oder Verdammnis gekoppelt sind. Das Leben wird nicht durch künstliche Angst oder Hoffnung bestimmt, sondern kann frei und eigenverantwortlich gestaltet werden und hat seinen Wert nicht erst im Hinblick auf jenseitige Folgen, sondern in sich selbst. So lehrt uns das Heidentum, das Leben zu lieben und den Tod nicht zu fürchten.
Ethik und Gesellschaft
Das germanische Heidentum besitzt keine dogmatischen Gebote und Verbote, aber eine klare Ethik, die auf den Grundsätzen der Ehre und gegenseitigen Treue beruht und ihren Ursprung in der Verwandtschaft mit den Göttern hat. Als ihr Angehöriger ist der Mensch frei und besitzt eine unverletzliche Würde, die er für sich zu bewahren und bei anderen zu respektieren hat.
Sie verpflichtet uns zu ehrenvollem Handeln nach dem Prinzip, niemandem ohne Notwendigkeit zu schaden, und ermutigt dazu, durch darüber hinaus gehende Verdienste weitere Ehre zu erwerben. Die Treue unterscheidet sich in Sippentreue, die unbedingt gilt, und frei vereinbarte Treue zwischen Nichtverwandten, die an Bedingungen geknüpft ist und nur bei beidseitiger Einhaltung gilt.
Freiheit und Würde jedes einzelnen Menschen und die Möglichkeit, das Zusammenleben nach freier Vereinbarung selbst zu gestalten, erfordern eine demokratische Gesellschaft, in der die Bürger größtmögliche Autonomie genießen und der Staat an Gesetze gebunden ist, die in freier Beratung beschlossen werden. Die Demokratie ist in der heidnischen Ethik und in der germanischen Thing-Tradition fest verankert. Wir bekennen uns vorbehaltlos zu ihr, lehnen jeden Totalitarismus ab und treten Missdeutungen des germanischen Heidentums, die unfreien Tendenzen Vorschub leisten, entschieden entgegen.